Maik Hester beim Zeitzeugengespräch mit Naftali Fürst (Bild: Borussia Dortmund/M. Donato)

Zum 78. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald fand am Dienstagabend ein Zeitzeugengespräch mit Naftali Fürst im SIGNAL IDUNA PARK statt. Der 90-jährige sprach über seinen Weg als kleiner Junge in die Konzentrationslager Auschwitz und Buchenwald. „Ich erzähle die Erlebnisse aus meiner Kindheit, damit nicht vergessen wird, was damals passiert ist. Wer mich trifft, wird das von mir Gesagte weitererzählen – das ist wichtig. Es ist schön, dass heute auch so viele junge Menschen hier sind.“ Bewegende Worte des Holocaust-Überlebenden Naftali Fürst an einem prägenden Abend im SIGNAL IDUNA PARK.

Nach einleitenden Worten des BVB-Präsidenten Dr. Reinhold Lunow vor 300 Gästen wurde zunächst ein gut 20-minütiger Film-Ausschnitt gezeigt, in dem Naftali Fürst über seinen Weg in die Konzentrationslager von Auschwitz und Buchenwald spricht. Fürst, der als Neunjähriger zum ersten Mal ins Konzentrationslager kam, gibt dabei Einblicke in seine Kindheit und spricht über Deportationen, den Weg ins KZ und seine Befreiung.

Anschließend nahm er Platz auf dem Podium zum Zeitzeugengespräch – mit dabei waren auch Thomas Schmid und Martin Kranz. Schmid ist Vorsitzender der Thüringer Fanclubvereinigung von Borussia Dortmund. Dieser gehören 23 Fanclubs mit über 1000 aktiven Mitgliedern an. Die Vereinigung wurde vor zehn Jahren gegründet und setzt sich seither unter anderem gegen jegliche Form von Antisemitismus ein. Martin Kranz ist Intendant der ACHAVA Festspiele Thüringen. Er führte im Gespräch mit Naftali Fürst durch den Abend.

Der 1932 geborene Zeitzeuge sprach zunächst über seine Kindheit und die erste Verhaftung seiner Familie. Aus dem Arbeitslager in Sered wurde die Familie im November 1944 nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Fürst und sein Bruder mussten sich von ihren Eltern trennen. „Heute habe ich selbst Kinder, Enkelkinder und Ur-Enkelkinder. Man kann sich nicht vorstellen, was meiner Mutter damals für Gedanken durch den Kopf gegangen sind. Wir dachten, dass wir uns nie wieder sehen“, erinnert sich der 90-Jährige.

Eben jene Kinder saßen auch am Dienstagabend im Publikum. Vier Generationen kamen mit ihrem Vater, Opa und Ur-Opa nach Dortmund. Bereits am Samstag waren sie beim Spiel gegen Union Berlin zu Gast und wurden mit begrüßenden Worten von BVB-Geschäftsführer Carsten Cramer im BORUSSEUM empfangen. Fürst sprach über die furchtbaren Zustände, in Auschwitz-Birkenau, auch Selbstzweifel bestimmten seinen Alltag: „Ich dachte mir: Was habe ich Schlimmes getan? Warum muss ich das alles erleben? Ich verlor meinen Glauben an Gott.“ Die aus Fürsts Sicht schlimmste Zeit sollte für ihn und seinen Bruder aber erst noch folgen. Vom Konzentrationslager in Auschwitz-Birkenau mussten sich unzählige Gefangene auf den Todesmarsch nach Buchenwald begeben. Seine erinnernden Worte sind eindrücklich: „Das kann man sich alles nicht vorstellen. Ich habe auf meinem Weg so viele Tote und Leid gesehen. Wer nicht weiterging und sich aus Erschöpfung niederließ, wurde direkt erschossen.“ Bei Temperaturen bis zu -25 Grad und meterhohem Schneetreiben mussten die Gefangenen in vier Tagen 150km zu Fuß zurücklegen. „Wir hatten nicht viel Hoffnung und waren müde. Es war eine Qual, wir hatten nichts zu essen, nichts zu trinken. Trotzdem mussten wir irgendwie weitermachen“, erzählt Fürst.

Während des knapp 90-minütigen Gespräches hörten die 300 anwesenden Gäste den Erzählungen des Zeitzeugen gespannt zu. Angekommen in Buchenwald wurden der heute in Israel lebende Fürst und sein Bruder in den sogenannten Block 66 geführt. Ein Kinderblock, in dem ungefähr 900 Kinder untergebracht waren. Aufgrund der Widrigkeiten während der Deportation nach Buchenwald, war Fürst mit seiner Ankunft schwer erkrankt. „Ich hatte hohes Fieber und war stark erkältet.“ Aus ihm unbekannten Gründen wurde ein Teil der Kranken in das Lagerbordell von Buchenwald gebracht. „Weil ich ein netter Junge war, verwöhnten mich die Frauen und gaben mir Brot und Schokolade“, erinnert sich Fürst lächelnd. Ein Arzt versorgte ihn vor Ort. Noch im Krankenbett des Lagerbordells liegend wurden Naftali Fürst und die anderen Gefangenen am 11. April 1945 befreit. „Der 11. April ist mein zweiter Geburtstag“, sprach der Shoah-Überlebende am Dienstagabend zu den Gästen in Dortmund.

Nach Kriegsende kehrte er nach Hause zurück und traf überraschend auf seinen Bruder und seine Eltern. Es stellte sich heraus, dass es die einzige Familie aus der ganzen Slowakei war, in der Eltern und Kinder überlebt hatten. Bild BVB-Präsident Dr. Reinhold Lunow zeigte sich beeindruckt: „Das kann man mit Worten gar nicht zusammenfassen, ein sehr bewegender Abend. Man kann Herrn Fürst nur bewundern, wie er mit seinem Schicksal umgeht und die Jugend auf das aufmerksam macht, was geschehen ist.“ „Wie Kohlenstücke in den Flammen des Schreckens – eine Familie überlebt den Holocaust“ – diesen Titel trägt das Buch, in dem Naftali Fürst zusammen mit seinem Bruder Shmuel seine Geschichte erzählt. Viele Gäste sicherten sich am Dienstagabend eines dieser Bücher und ließen es im Anschluss an die Veranstaltung vom Protagonisten höchstpersönlich signieren.

Auch eine Schulklasse war – trotz der Osterferien – im SIGNAL IDUNA PARK zu Gast. Eines der Kinder ging nach der Veranstaltung auf den Holocaust-Überlebenden zu und fragte ihn: „Was bedeutet Glück für Sie?“ Fürst antwortete: „Glück ist für mich, dass ich leben darf. Ich bin mit meiner Familie hier, wir sind vier Generationen. Das ist Glück.“

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